Benz, Wolfgang (Hrsg.): Lexikon des Holocaust, 264 S., Beck, München 2002.

Die von Israel Gutman herausgegebene „Enzyklopädie des Holocaust“ ist konzeptionell gut und gerne fünfzehn Jahre alt, vor mehr als zehn Jahren erschienen und überdies inzwischen vergriffen. Nirgendwo sonst schreitet jedoch die Forschung derzeit auch nur annähernd so schnell voran wie auf diesem Gebiet und so ist das schmale und preiswerte, von Wolfgang Benz verantwortete Taschenbuchlexikon eine wirkliche Hilfe. Die mehr als zweihundert ungezeichneten Kurzbiographien und die nahezu ebenso vielen gezeichneten Sachartikel sind naheliegenderweise nicht alle gleich gut, aber wirkliche Patzer sind mir nicht aufgefallen. Unzureichend ist der Beitrag ‚Wehrmacht‘, der viel zu sehr militärgeschichtlich gehalten ist und von den Dingen, die die Wehrmachtausstellung thematisiert, nur knapp zu berichten weiß. Bei ‚Antisemitismus‘ hätte man sich mehr Typologisches vorstellen können, der Artikel steuert zu rasch auf den Vernichtungsantisemitismus zu, der sich zwar durchgesetzt, aber niemals die Vorstellungen der Mehrheit repräsentiert hat; vom Antisemitismus als ‚kulturellem Code‘ ist nicht die Rede, obwohl er bestimmt die Begegnungszone dargestellt hat, in der sich die verschiedenen Antisemitismen und ihre Anhänger trafen. Sehr umsichtig der Beitrag ‚Rettung‘, den man in der „Enzyklopädie“ regelrecht zusammensuchen muss; eine Spitzenleistung ist ‚jüdischer Widerstand‘, dessen Autorin sich stillschweigend der These Arnold Pauckers anschließt, das heißt allen geschichtspolitischen Versuchungen falscher Heroisierung widersteht. Im Stichwort ‚Wiedergutmachung‘ hätte die Periodisierung stärker betont werden können, denn nur so wäre hinreichend deutlich geworden, wie oft man in der Bundesrepublik geglaubt hat, alles getan zu haben, nur um alsbald einsehen zu müssen, dass noch immer ganze Opfergruppen ausgeschlossen waren beziehungsweise sind. Was am Ende zur Entschädigung der Zwangsarbeiter mitgeteilt wird, bleibt vielen Lesern in dieser Kürze vermutlich unverständlich und das wiegt doppelt schwer, weil im Artikel ‚Zwangsarbeiter‘ davon mit keinem Wort die Rede ist. Der vom Herausgeber verfasste Beitrag ‚Endlösung‘ beschränkt sich auf die Geschichte dieses Terminus, der Streit zwischen Intentionalisten und Funktionalisten wird ebensowenig dargestellt wie die sich abzeichnende Synthese, wie sie etwa Ulrich Herbert und Michael Wildt vertreten. Ich habe nicht herausgefunden, wo man sich sonst in diesem Büchlein über diese keineswegs nebensächliche Frage informieren könnte. Überrascht werden die meisten Leser sein, wenn sie auf das Stichwort ‚Film‘ stoßen, vergeblich werden sie ‚Vergangenheitsbewältigung‘ oder Ähnliches suchen. ‚Deportation‘ informiert dankenswerterweise über die gesamte Geschichte, beginnt also mit dem Anfang des 20. Jahrhunderts und weist dann auf den wesentlichen Unterschied zwischen dem Genozid – ein Stichwort, das übrigens nicht eigens aufgeführt ist – an den Armeniern einerseits und an Juden sowie Sinti und Roma andererseits hin. Die hier hervorgehobenen Schwächen können jedoch den positiven Gesamteindruck dieses verdienstvollen Büchleins nicht ernsthaft in Frage stellen – man braucht einfach solche Spezialnachschlagewerke, zumal solche preiswerten – und großes Lob verdienen die sehr aktuell gehaltenen Literaturhinweise; sie reichen bis ins Jahr 2002.

Darmstadt, Christof Dipper

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