Ilona Buchsteiner: Großgrundbesitz in Pommern 1871-1914. Ökonomische, soziale und politische Transformation der Großgrundbesitzer, 447 S., Akademie, Berlin 1993.

Die Studie ist ein gelungener Beitrag zur Sozialstrukturgeschichte des Grundbesitzes in Deutschland. Die Autorin untersucht in der überarbeiteten Fassung ihrer Rostocker Habilitationsschrift die verschiedenen Dimensionen des Transformationsprozesses der Gruppe der Großgrundbesitzer (ab 100 Hektar) in der Provinz Pommern, eine der wichtigsten landwirtschaftlichen Regionen Preußens. Sie verfolgt insbesondere die Frage, ob und inwieweit es überhaupt noch gerechtfertigt erscheint, von einer einheitlichen Gruppe der Großgrundbesitzer zu sprechen und wo sich adelige und bürgerliche Eigentümer und Besitzer in ihrem wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verhalten voneinander unterschieden. In allen Bereichen zeigten sich signifikante Unterschiede. Die Analyse der ökonomischen Lage basiert - neben der Auswertung der einschlägigen landwirtschaftlichen Betriebsstatistiken, der Ergebnisse der Bodennutzungserhebungen und der Anbau- und Erntestatistiken - auf der aufwendigen Auswertung der in den Handbüchern des Grundbesitzes und in den Güteradreßbüchern enthaltenen Daten über das Bodeneigentum. Diese Auswertung war deshalb notwendig, weil im Deutschen Reich keine offiziellen Erhebungen über das Bodeneigentum durchgeführt wurden, aber nur so Aufschlüsse über den jeweiligen Anteil des Adels und des Bürgertums, über die jeweilige Eigentumsgröße und die jeweilige Mobilität des Eigentums ermittelt werden konnten. Rein zahlenmäßig gesehen, dominierten die bürgerlichen Eigentümer und Besitzer; sie erwiesen sich auch als unternehmerischer und reagierten flexibler auf die Agrarkrise und die neuen Anforderungen, die die Entstehung des Weltagrarmarktes seit Ende der 1870oer Jahre stellte. Während sie ihr zu bearbeitendes Areal verkleinerten und intensiver wirtschafteten, reagierten die adeligen Eigentümer zunächst mit Vergrößerung, also Extensivierung, um die Einkommensverluste zu kompensieren. Nach der Reduktion des Zollschutzes unter Caprivi stellten sie verstärkt Ansprüche an den Staat. Erst nach Einsetzen der agrarpolitischen Maßnahmen Mitte der 1890er Jahre begannen auch sie, intensiver zu wirtschaften. Im Gegensatz zu ihrer zahlenmäßigen und ökonomischen Führungsrolle waren die Bodeneigentümer und Besitzer bürgerlicher Herkunft aber auf politischer Ebene unterrepräsentiert. Die adeligen Grundeigentümer dominierten in den parlamentarischen Vertretungen und den staatlichen und provinziellen Selbstverwaltungsorganen. Die Besetzung der Landratsämter war fast ausschließlich eine Sache des Adels. Darüber hinaus suchten die adeligen Grundeigentümer ihre gesellschaftliche Führungsrolle zu bekräftigen, indem sie in den landwirtschaftlichen Genossenschaften und in der Landwirtschaftskammer die leitenden Positionen einnahmen. Buchsteiner erklärt die geringe politische Beteiligung der bürgerlichen Eigentümer aus dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren. Die Eigentümer bürgerlicher Herkunft hätten sich offensichtlich stärker auf die rein wirtschaftliche Seite ihrer Tätigkeit konzentriert und dem Adel die politische Repräsentation und Interessenvertretung überlassen. Darüber hinaus seien die adeligen Bodeneigentümer aber auch von der ländlichen Bevölkerung leichter als die bürgerlichen Eigentümer in dieser Führungsrolle akzeptiert worden. Der Grund: Die adeligen Eigentümer gehörten zumeist alteingesessenen Familien an, während auf den bürgerlichen Gütern eine hohe Fluktuation mit häufigem Eigentümer- und Besitzerwechsel vorherrschte (289-291). Auch dürfte die Tatsache eine Rolle gespielt haben, daß der adelige Grundeigentümer im Durchschnitt über mehr als das Doppelte an Landausstattung verfügte als der bürgerliche Eigentümer (68). Buchsteiner hält es daher nicht mehr für angemessen, von einer Gruppe von Großgrundbesitzern zu sprechen, sondern zwei Gruppen scharf zu trennen: "die zahlenmäßig dominierende und ökonomisch führende bürgerliche und die politisch und sozial bestimmende adlige Gruppe" (304). Die Studie wird ergänzt durch einen umfangreichen Anhang mit Tabellen zu den wirtschaftlichen Daten und mit Verzeichnissen über die größten Grundeigentümer und Gutsbesitzer, deren Heiratskreise und Präsenz in Politik und Verwaltung.

 

Frankfurt/Oder, Rita Aldenhof-Hübinger

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