Eisenstein, Cornelia: Meinungsbildung in der Mediengesellschaft. Eine Analyse zum Multi-Step Flow of Communication, 344 S., Westdeutscher Verlag, Opladen/Wiesbaden 1994.
Allzu leicht gerät bei der populären Beschwörung der gefährlichen, manipulierenden Wirkungen der Massenmedien die Einsicht in Vergessenheit, dass neben diese Komponente der indirekten Kommunikation immer auch die der direkten, unvermittelten Kommunikation, des persönlichen Gesprächs, zu stellen ist. Die Feststellung gar, dass Einstellungsänderungen eher durch personalen, denn durch medialen Einfluss bewirkt werden, bedeutete in den vierziger Jahren eine Art Revolution in der Kommunikationswirtschaft. Fortan waren simple Stimulus-Response-Modelle außer Kurs und der von Paul F. Lazarsfeld entwickelte two-step flow of communication bildete das forschungsleitende Konzept. Hieraus ergaben sich jedoch Folgen, die zu gravierenden Modifikationen zwangen. Zum ersten erwies es sich als notwendig, deutlich zwischen Informations- und Meinungsvermittlung zu unterscheiden. Die Ausbreitung der Medien sorgte dafür, dass immer mehr Informationen nur indirekt vermittelt wurden. Zum zweiten stellte es sich – nicht zuletzt auch zum Leidwesen von Politikern und Werbefachleuten – als fast unmöglich heraus, den Meinungsführer mit seinen typischen Eigenschaften zu identifizieren. Kommunikation, so die neue Erkenntnis, hat viele Formen: Meinungsführer haben nur beschränkte Kompetenzen, auch sie werden beeinflusst, und zudem gibt es Isolierte, über die sich wenig sagen lässt. Das komplexe Modell eines multi-step flow of communication war die Folge, um all diese empirisch abgestützten Beobachtungen zu integrieren.
Cornelia Eisensteins Münsteraner Dissertation verwendet viel Raum auf die Darstellung der Entwicklung dieser kommunikationswissenschaftlichen Theoriebildung. Für den informierten Leser ist es sicher lästig, zum wer-weiß-wie-vielten Mal ausgiebig mit Lazarsfelds „People's Choice“-Studie vertraut gemacht zu werden oder die Grundbegriffe der Diffusionsforschung erläutert zu erhalten. Andererseits wird es ihm durch stringenten Aufbau der Arbeit ermöglicht, sehr selektiv zu lesen. Andere Nutzer können die Studie dagegen ohne weiteres als Handbuch-Ersatz verwenden: Eisenstein referiert klar gegliedert und leicht verständlich die Ergebnisse der wichtigsten Studien und der daran schließenden Diskussionen.
Erst nach mehr als 200 Seiten kommt sie zu ihrer eigenen Untersuchung und deren Ergebnisse, die dann auf gerade 70 Seiten abgehandelt werden. Mehr als 1.000 Interviews wurden durchgeführt, um die Rolle von Medien und persönlichen Kontakten hinsichtlich der Informations- und Meinungsbildungsfunktion zu Themen der Gesundheit und der Politik zu bestimmen. Viele klare Befunde waren das Ergebnis. Zunächst konnte die alte Annahme, Meinungsführer wären überdurchschnittliche Mediennutzer genauso zurückgewiesen werden wie dieselbe Vermutung für gesellschaftlich Isolierte: Es besteht „kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Geselligkeitsverhalten einer Person und ihrer quantitativen Medienzuwendung. [...] Zurückgezogen lebende Individuen, die darüber hinaus auffallend wenige zwischenmenschliche Beziehungen pflegen, nutzen weder die audiovisuellen noch die Printmedien häufiger als andere“ (S. 282). Weiterhin kann hinsichtlich der Information differenziert werden: „Massenmedien rangieren im Hinblick auf politische Angelegenheiten in der Wertigkeit vor den interpersonalen Kommunikationskanälen. Das Thema Gesundheit hingegen führt zu einer Dominanz der Primärgruppen Familien und Freundeskreis“ (S. 244). Und schließlich gilt, dass die definitiven personalen opinion-leader nicht auszumachen sind. Nur bei den Medien lassen sich eindeutige Hierarchien ausmachen (S. 255–261). Allerdings trägt die Studie trotz aller wichtigen Einzelergebnisse nichts zum Wissen über das Verhältnis von realen und virtuellen, das heißt nur medial vermittelten, Meinungsführern bei – dem entscheidenden Problem gerade bei der politischen Meinungsbildung. Eisensteins Fazit ist zwar zutreffend, gleichwohl aber vor dem überlegten Aufbau der ganzen Studie etwas enttäuschend: „An der Wirksamkeit direkter, persönlicher, aber auch massenmedialer Kommunikation besteht kein Zweifel. Lediglich die Intensität der Wirkungen beider Kommunikationsmodi sind bislang weitestgehend ungeklärt“ (S. 287).
Forst, Konrad Dussel
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