Fellner, Fritz: Vom Dreibund zum Völkerbund. Studien zur Geschichte der internationalen Beziehungen 1882–1919, hrsg. von Heidrun Maschl und Brigitte Mazohl-Wallnig, 343 S., Oldenbourg, München 1994.
In diesem Sammelband sind 17 Aufsätze aus den Jahren 1958–1991 zusammengeführt, die sich mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges und der Versailler Friedensordnung befassen. Die bisher verstreut liegenden und teilweise schwer zugänglichen Studien reflektieren den Schwerpunkt aber auch zugleich das Besondere der Forschungen Fritz Fellners. Er hat sich nicht nur mit den großen, den Verlauf der Geschichte prägenden Ereignissen befasst, sondern auch mit Randerscheinungen des historischen Geschehens. So entstanden Beiträge zur Presse- und Propagandapolitik wie „Zeitungen als Instrument der Außenpolitik“, „Der Plan einer Vortragsmission Redlich Apponyi“. Auch hat Fellner bisher nicht beachtete Quellen wie die Briefe des Grafen Monts an Josef Redlich aus den Jahren 1914/15, Denkschriften aus Österreich bezüglich die Mitteleuropa-Diskussion 1915/16 oder ein Memorandum des Sektionschefs Forgách vom Januar 1915 in die Forschungsdiskussion eingebracht, die unter mentalitätsgeschichtlichem Aspekt einen Beitrag zur Erforschung des Ersten Weltkrieges leisten. Besonders anregend sind die Ausführungen über den Quellenwert von Tagebüchern und Briefen der „Geführten und Verführten“, der nach Auffassung von Fellner bisher zu Unrecht zugunsten der politisch gestaltenden Persönlichkeiten unbeachtet blieb: „Wir müssen als Historiker, wenn wir erfahren wollen, wie es eigentlich gewesen ist, uns lösen von den offiziellen Quellen und den privaten uns zuwenden“. Zum Abdruck sind aber auch noch einmal exemplarisch ausgewählte Beiträge zum großen Komplex von Kriegsschuldfrage und Friedensvertrag gekommen, wobei sich zeigt, dass der Autor sich nie gescheut hat, in Österreich höchst unpopuläre Positionen einzunehmen und kritische Fragen zu stellen, die an das österreichische Selbstverständnis rührten. Doch wenngleich es verdienstvoll ist, die Einseitigkeit, mit der die Kriegsschuldfrage in der österreichischen Forschung bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt wurde, zu durchbrechen, so ist dennoch nicht recht nachvollziehbar, dass Fritz Fellner in seinen Ausführungen über die „Mission Hoyos“ (1976) geradezu ins andere Extrem verfällt und die Verantwortung und moralische Schuld gänzlich den Mittelmächten anlastet. Zu wenig Gewicht wird der Zwangslage beigemessen, in die sich Deutschland durch den Schlieffen-Plan selbst manövriert hatte. Nicht recht überzeugen kann die These, Deutschland hätte den großen Krieg verhindern können durch die diplomatische Absicherung des österreichisch-ungarischen Bestrebens, sich Serbien einzuverleiben. Der „Vertrag von Samt Germain“ (1983) wie auch die Pariser Vororteverträge („Die Friedensordnung von Paris 1919/20“, 1981) werden im Sinne der Schaffung einer neuen Rechtsordnung, die von da an für alle zwischenstaatlichen Beziehungen gelten sollte, sehr positiv bewertet. Feller hebt vor allem für das Verhältnis der Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie die Gegenseitigkeit der Verpflichtungen hervor. Hinsichtlich des sogenannten Anschlussparagraphen weist er darauf hin, dass damit nicht nur die Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich, sondern auch eine Restaurierung Österreich-Ungarns unterbunden werden sollte. Recht eigenwillig und geradezu originell ist die Kritik an den Staatsmännern der Republik Österreich, sie hätten die Auflösung der Donaumonarchie nicht als Chance sondern als Verlust begriffen. Die Deutung der Friedensverträge als Begründung einer Rechtsordnung vernachlässigt, was in den 20er Jahren unübersehbar wurde: In dieser neuen Ordnung gab es Berechtigte und weniger Berechtigte. Auch auf Seiten der Sieger spielten Rachegelüste, Sicherheitsbedürfnis und Machtkalkül eine Rolle, was sich bereits in den Vertragsbestimmungen niederschlug und in der Durchführung erkennbar fortsetzte. Abschließend ist jedoch hervorzuheben, dass es Fellner stets darum gegangen ist, Kriegsschuldfrage und Friedensverträge gerade nicht in der überkommenen kritisch-ablehnenden Art und Weise abzuhandeln. Sein Verdienst ist es, sich der Thematik unter ganz anderen Blickwinkeln und Fragestellungen, als dies bis dahin in der tradierten Geschichtsschreibung geschehen war, genähert und so wesentlich zu einer Neubewertung beigetragen zu haben.
München, Isabel F. Pantenburg
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