Fix, Karl-Heinz: Universitätstheologie und Politik. Die Heidelberger Theologische Fakultät in der Weimarer Republik, 365 S., Winter, Heidelberg 1994.

Die – längst noch unvollständige – Aufarbeitung der Universitätsgeschichte der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reiches‘ gründet sich hauptsächlich auf lokal- oder fakultätsbegrenzte Einzelstudien kompetenter Nachwuchshistoriker/innen. Die gründliche Ausleuchtung der Verantwortung und Schuld einzelner Personen, Gruppen und Institutionen führt dabei zur Aufdeckung vertuschter, unangenehmer Wahrheiten und zur Demaskierung nachträglicher Rechtfertigungstaktiken. Karl-Heinz Fix macht schon mit seinem Buchtitel deutlich, was ihn an der Historiographie der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg interessiert. Nicht die innerunversitären Probleme, sondern die politischen Äußerungen der evangelischen Theologieprofessoren in öffentlichen Reden und gedruckten Schriften zur Situation der Weimarer Republik stehen im Mittelpunkt seines Forschungsvorhabens. Er will daran aufzeigen welche grundsätzlichen Positionen die Hochschullehrer zum Ersten Weltkrieg, zum demokratischen Staat von Weimar und zur ‚Machtergreifung‘ gehabt hatten.

Um von einer gesicherten Erkenntnisbasis schlussfolgern zu können, fertigt Fix von jedem Theologen ein politisches Profil an, das sich aus schriftlichen Zeugnissen aus der Zeit zwischen 1914 und 1933/34 zusammensetzt. Aufgrund des differierenden Umfangs und lnhalts des vorhandenen Quellenmaterials sowie den unterschiedlichen Zeitpunkten der Lehrtätigkeit der einzelnen Dozenten verzichtet der Verfasser in seiner Arbeit auf einen systematischen, themenbezogenen Vergleich und überlässt die wertende Gegenüberstellung dem Leser. Unübersehbar ist jedoch die eher negative Grundeinstellung der überwiegenden Mehrheit gegenüber der neuen – sich etablierenden – Staatsform, die sich in ablehnenden Kommentaren, aufreizenden Vergleichen mit den glorreichen Zeiten des Bismarckreiches oder verdeckten Anspielungen auf vorhandene demokratische Desiderate dokumentierte.

In einem zweiten Kapitel zeigt Fix anhand der Berufungen auf, ob und wie sich die politischen Positionen der Professoren auf die getroffenen Entscheidungen ausgewirkt haben. Dabei verortet er einen der spektakulärsten Weimarer Berufungsskandal – den Fall Dehn – im Rahmen aller zwischen 1918 und 1933 in der Fakultät vorgenommenen Lehrstuhlbesetzungen neu und relativiert weit verbreitete einseitige Sichtweisen.

Die Untesuchung des politischen Verständnisses der evangelischen Theologiestudenten – der dritte Großblock der gut strukturierten Arbeit – verweist auf die Kongruenz von Lehrern und Schülern im politischen Denken und Handeln. So triftt Fix’ Einteilung in drei politische Gruppierungen sowohl auf die akademischen Honoratioren als auch auf ihren Nachwuchs zu. Die größte setzte sich aus den Theologen zusammen, die die junge, sich entwickelnde Demokratie ignorierten oder ablehnten, dies aber nicht dezidiert zum Ausdruck brachten. Die quantitativ zweitstärkste Gruppe bestand aus den Dozenten, die die Republik in Wort und Schrift offen – häufig sogar drastisch – angriffen, ohne allerdings realpolitisch akzeptable Gegenmodelle anbieten zu können. Nur die wenigsten bekannten sich – in einer dritten Gruppe – eindeutig zum neuen System und spalteten sich darüber hinaus noch in einen „Vernunfts- beziehungsweise Herzensrepublikanismus“.

Als gemeinsamer Nenner verband allerdings alle evangelische Hochschullehrer die Sorge um die Entchristlichung der Gesellschaft, den Niedergang der Werte und – damit eng verbunden – den moralischen Verfall der Jugend. So gab es trotz der aufgezeigten politischen Heterogenität der Fakultät keine politisch motivierten Ausgrenzungen oder schwere Auseinandersetzungen. Gleichwohl verdeutlichte der Fall Dehn wie stark politische Einflussnahme die Fakultät in eine Krise führte und eine schon ausgesprochene Berufung untergraben werden konnte.

In Übereinstimmung mit vorhergehenden Forschungsergebnissen erkennt und beschreibt Fix die latent antidemokratische und republikablehnende Atmosphäre und deckt somit das Grundübel der problematischen Beziehung von Staat und Universität nach der Revolution 1918/19 auf. Während in Reichsgründungsfeiern der Stärke und Größe Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg gedacht und nachgetrauert wurde, verkamen die Verfassungsfeiern zu Plichtveranstaltungen, bei denen den Studenten die Schwächen des Parlamentarismus vor Augen geführt wurden.

Die meisten Professoren und auch Studenten bewiesen zwar in den letzten Jahren der Republik eine große Resistenz gegen den aufkommenden Nationalsozialismus, warteten aber in Distanz zur Demokratie – wie viele Berufskollegen – auf einen „starken Mann“, der eine Änderung der Regierungsform bewirken sollte.

Dem Leser bleibt am Ende der Lektüre die Gewissheit, dass die für die kleine theologische Fakultat in Heidelberg gewonnenen Erkenntnisse durchaus repräsentativ sind und die folgende zeitgenössische Einschätzung (1926) Friedrich Meineckes nachdrücklich bestätigen: „Was ist das für ein Unglück, dass unserer Studentenschaft die heutige Staatsform verekelt wird, zwar nicht immer direkt – das wagt man nur zuweilen durch eingestreute Bosheiten zu tun –, aber indirekt durch die politische Gesamtstimmung ihrer Lehrer.“

 

Essen, Christoph Jakubowski

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