Ulrich Herbert: Werner Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. Dietz Nachf., Bonn 1996.

 

Werner Best gehört zu jenem Kreis führender Funktionäre des NS-Regimes, die, von der Öffentlichkeit wenig beachtet, in zentralen Schaltpositionen innerhalb des Herrschaftsapparates erhebliche Eigeniniative entwickelten, sich große Handlungsspielräume schufen und die verheerende Dynamik des NS-Regimes zu einem erheblichen Teil in Gang setzten und in Gang hielten. Best, Prototyp eines solchen selbständig handelnden Organisators, diente dem Nationalsozialismus fünfzehn Jahre lang auf verschiedenen Posten: Als Rechtsberater der hessischen NSDAP und Autor der Boxheimer Dokumente, als erster Organisationschef des SD und einer der Exekutoren der Aktion vom 30. Juni 1934, als Chefadministrator von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt, als Leiter der Verwaltung beim Militärbefehlshaber in Frankreich, hier unter anderem verwantwortlich für die ersten Deportationen von Juden und schließlich als Reichsbevollmächtigter in Dänemark, wo er die Rettung der dänischen Juden durch sein Verhalten ermöglichte.

In diesen verschiedenen Positionen, die ihn in Berührung mit den unterschiedlichsten Politikbereichen brachten, scheint Bests Verhalten auf den ersten Blick ambivalent und widersprüchlich zu sein: Einerseits überzeugter, theoretisierender Nationalsozialist und skrupelloser Exekutor nationalsozialistischer Vernichtungspolitik, andererseits aber auch in juristischen Kategorien denkend, rationalen Argumenten zugänglich, zum abwägenden und maßvollem Handeln fähig.

Es ist ein Hauptanliegen von Ulrich Herberts Biographie zu zeigen, daß diese Elemente keineswegs widersprüchlich sind, sondern das Bests "Vernunft" in einem spezifisch historischen Sinne in Übereinstimmung mit seiner radikalen Weltanschauung stand, ja ein wesentliches Element dieser Ideologie bildete. Herbert wirft damit die Frage nach der "Rationalität" des NS-Regimes exemplarisch auf. In Gegensatz zu Arbeiten, die die NS-Ideologie ganz auf die Iddenwelt Hitlers reduzieren und im Gegensatz zur strukturalistischen Betrachtungsweise, die die nationalsozialistischen "Weltanschuung" schon wegen ihrer Absurdität und intellektuellen Dürftigkeit nur als ein Randphänomen wahrnimmt, gilt Herberts Interesse ganz gezielt der Bedeutung von Ideologie und politisch-weltanschaulichen Großkonzepten für die führende Schicht von Funktionären des NS-System - der Verweis auf mögliche Parallen in andern modernen Diktaturen fehlt nicht -, wobei er nicht bei einer geistesgeschichtlichen Herleitung solcher Konzepte stehenbleibt, sondern an Best exemplarisch aufzeigt, daß für einen Spitzenfunktionär wie Best die Vertretung solcher ideologischen Konzeptionen nicht nur rhetorische Pflichtübung war, sondern essentieller Bestandteil seiner Karriere.

Die Leistung Herberts besteht nicht nur darin, zu jede der Stationen, die Best im Laufe seiner Karriere bekleidet hat, auf breiter Quellenbasis und jeweils den historischen Kontext herstellend einen substantiellen Beitrag zu leisten , sondern vor allem darin, daß in dem Buch der Realtyp des jüngeren, akademisch vorgebildeten und fanatischen SS-Funktionärs plastisch entworfen wird. Herbert setzt mit diesem Buch Maßstäbe, an der sich künftige Forschungen orientieren werden.

Weiterlesen können Sie diese Rezension im Heft 1/97 der NPL.

 

Peter Longerich

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