Imhof, Arthur E. (Hrsg.): Lebenserwartungen in Deutschland, Norwegen und Schweden im 19. und 20. Jahrhundert, 725 S., Akademie, Berlin 1994.
Der anzuzeigende Band ist der abschließende einer ganzen Reihe von Publikationen, die die Ergebnisse von Arthur Imhofs großem Forschungsprojekt zur historischen Demographie Deutschlands veröffentlichen. Ein erster Band von 1990 dokumentierte die historische Mortalitätsstatistik Deutschlands vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Das vorliegende Buch schließt daran an und liefert das heuristisch weit weniger riskante 19. bis 20. Jahrhundert. Zu Vergleichszwecken wurden außerdem analoge Datenreihen der bekanntlich gut dokumentierten skandinavischen Länder Norwegen und Schweden beigefügt.
Der Text ist in vier recht unterschiedliche Teile gegliedert: Da ist zunächst ein Essay des Herausgebers, der materialreich und anschaulich die Wandlungen der Mortalitätstrukturen der letzten 100 Jahre beschreibt. Damit verbunden wird eindringlich die bekannte Forderung Imhofs erhoben, die im Unterschied zu früher verlängerte und relativ sichere Lebenszeit der Zeitgenossen des späten 20. Jahrhunderts auch in ihrer Qualität zu begreifen. „Wir tun noch zu häufig so, als ob das Leben am Ende des beruflichen oder familiären Lebens zu Ende wäre“. Die veränderte Lage erfordert es, so Imhof, dass wir uns durch Entwicklung veränderter gesellschaftlicher und individueller Lebenspläne unseren gewonnenen Jahren als würdig erweisen, um so „des Privilegs dieser bislang einmaligen Situation auch wert“ zu sein. Ob man die Emphase des Autors nun teilt oder nicht, Imhofs Essay beschreibt anschaulich die demographischen Strukturen unserer Gegenwart und jüngeren Geschichte. Er verdiente ein größeres Publikum, als es der Band – schon seines stattlichen Umfanges von über 700 Seiten wegen – vermutlich finden wird.
Der folgende Abschnitt, in dem Hans-Ulrich Kamke, Rembrandt D. Scholz und Jens-Christian Borgan Quellen und Methoden der Mortalitätsstatistik diskutieren, richtet sich eher an Leserkreise mit entsprechenden Vorkenntnissen, für die er sicher interessant ist. Sprachlich hätte man sich hier eine etwas weniger komplizierte Darlegung gewünscht – zumal die komplexen Formulierungen gelegentlich missverständlich sind. So werden etwa in der Sache zutreffend, aber mit falscher Kausalität der Anstieg der Lebenserwartung und die Zunahme der Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft: „Die strukturbedingte Erhöhung der Lebenserwartung zwischen 1965 und 1975 ist vor allem in der Erhöhung des Anteils der Herz-Kreislauferkrankungen am Gesamtsterbegeschehen begründet“ (S. 146)
Den dritten Abschnitt des Bandes bilden Beschreibungen der drei Untersuchungsgebiete Deutsches Reich, BRD, DDR, Norwegen und Schweden. Speziell in den letzten beiden Fällen haben Ovind Larsen für Norwegen sowie Anders Brandström, Ines Egerbladh, Carin Sjöström und Lars-Göran Tedebrand für Schweden die demographischen Daten sehr gut mit Erkenntnissen der historischen Epidemiologie zu kompakten Abrissen der demographischen Entwicklung beider Länder unter besonderer Berücksichtigung der Mortalität verbunden. Im deutschen Fall wird all dies von Eva Wedel-Sehaper auch geboten. Allerdings geht es in dem hier überreich dargeboteten Handbuchwissen zur Geschichte von Politik, Gesundheitswesen, Bildungswesen et cetera unter. All das kann man auch in der Handbuchliteratur von Thomas Nipperdey bis Christoph Kleßmann oder in einer neueren Medizingeschichte nachlesen. 300 Seiten stark ist schließlich die Dokumentation des Bandes geraten, die, wie schon im ersten Band von 1990, in Graphiken und Tabellen die Datenbasis der Untersuchungen präsentiert. In dieser Menge und Qualität werden veröffentlichte Daten zur historischen Demographie Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert schwerlich andernorts zu finden sein. Nicht nur die schiere Menge, sondern auch die überaus sorgfältige Machart der Statistiken, bei denen Quellen und Methoden der Bearbeitung stets im Detail angegeben sind, ist beeindruckend.
Heidelberg, Christoph Gradmann
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