Jürgen Kloosterhuis: Friedliche Imperialisten. Deutsche Auslandsvereine und auswärtige Kulturpolitik, 1906-1918, Teil 1 und 2. 919 S., Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main u.a. 1994 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd.588).

 

Seit Beginn der achtziger Jahre konzentriert sich das Interesse der Forschung - abweichend von der klassischen Machtpolitik - auf die auswärtige Kulturpolitik zur Zielbestimmung der deutschen Außenpolitik vor 1914. In einer überarbeiteten Dissertation hat Kloosterhuis einen wichtigen Beitrag zu dieser Diskussion über die Intentionen und Träger einer auswärtigen deutschen Kulturpolitik geleistet. Bemerkenswert ist dabei der zur Arbeit gehörende Katalog von deutschen Auslandsvereinen, der eine Dokumentation über "möglichst" alle Organisationen enthält.

Eingehend hat er sich mit der Frage beschäftigt, ob und wie es bei der Gestaltung der deutschen Kulturpolitik im Ausland zu einer Zusammenarbeit zwischen privaten Auslandsvereinen und offiziellen politischen Willensträgern des Kaiserreichs kam. Durchgehend wird deutlich, daß Kloosterhuis in der auswartigen Kultur- und Wirtschaftspolitik in Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs nicht eine "quantité négliable", sondern ein konstitutives Element einer "Weltpolitik ohne Krieg" sieht.

Die Überzeugung von der Notwendigkeit deutscher auswärtiger Kulturpolitik kulminierte besonders in den Reihen des Bildungsbürgertums m der Phase zwischen 1906 und 1911. Als Markstein des Sendungsbewußtseins sind die Marokko-Krisen zu sehen. Zeittypische Anschauungen, z.B. Deutschlands Menschenüberschuß, Rohstoffknappheit und Absatzbedürfnisse, schienen nur auf der Basis einer prinzipiellen Expansionswilligkeit lösbar. Diese Ansichten verdichteten sich zu einer neuen "weltpolitischen Konzeption", wonach das "größere Deutschland" nun mit Hilfe auswärtiger Kultur- und Wirtschaftspolitik geschaffen werden sollte. Es erscheint Kloosterhuis als erwiesen, daß der Wettbewerb zwischen machtpolitischer Expansionspolitik und auswärtiger Kultur- und Wirtschaftspolitik durch die politisch engagierte öffentliche Meinung eindeutig zugunsten des "friedlichen Imperialismus" entschieden worden ist. Gleichzeitig räumt der Autor aber auch ein, daß angesichts der Mitgliederzahlen die Auslandsvereine einem Vergleich mit den bekannten politischen Agitationsvereinen nicht standhielten. Er versucht diesen Widerspruch - vielleicht etwas leichtfertig - mit dem Anspruch der Auslandsvereine zu entkräften, mehr Wert auf die Qualität der Mitglieder gelegt zu haben.

Kloosterhuis weist anhand der Reichstagsdebatten nach, daß die Parteien größtenteils für eine erweiterte auswärtige Kulturpolitik votierten, wenn auch aus unterschiedlichsten Motiven. Diese Befürwortung ging sogar z.T. über die von der Regierungsseite bereitgestellten Mittel hinaus. Wichtig dabei war besonders bei den fortschrittlicheren Parteien - neben dem ökonomischen Argument - das Motiv, eine parlamentarische, möglichst weitgehende Kontrolle über die finanziellen Maßnahmen zur Kulturpolitik zu erhalten und am Ende möglicherweise über die gesamte Außenpolitik.

Der Autor untersucht darüber hinaus die offiziellen Träger auswärtiger Kulturpolitik. Während das Kultusministerium (Althoff) weniger kulturpolitische Absichten, als vielmehr eine verbesserte internationale Verständigung und wissenschaftliche Zusammenarbeit anstrebte, zielten die Bemühungen des Reichsmarine-Amts (Tirpitz) darauf ab, durch Förderung auswärtiger Kulturpolitik - unter Hinweis auf das Auslandsdeutschtum - die Notwendigkeit einer deutschen Seemacht zu betonen. Im Auswärtigen Amt dagegen (Bethman-Hollweg, Riezler u.a.) wurde eine Konzeption entworfen, wonach "Weltpolitik" nicht mehr militärische, sondern wirtschaftliche und kulturelle Grund züge annehmen sollte; Riezler sprach von einer "Expansion der Idee oder der Stimmungen". Bethmann-Hollweg als Reichskanzler - unter dem Einfluß dieser Überlegungen - war praktisch angesichts der geweckten öffentlichen Erwartungen zur Fortführung einer "Weltpolitik" gezwungen - wenn auch nun unter "friedlichen Vorzeichen", d.h. durch auswärtige Kulturpolitik; Deutschland könne sich nur noch "auf dem Wege wirtschaftlicher und kultureller Betätigung" (S. 163) ausdehnen.

Kloosterhuis weist eine Vielzahl amtlich-privater Interaktionen zur Stärkung einer auswärtigen Kulturpolitik nach, wobei die staatliche Seite immer im Hintergrund blieb, um internationale Irritationen zu vermeiden. Dabei zeigte sich besonders die Förderung auswärtiger Pressepolitik im Rahmen deutscher Kultur- und Wirtschaftspolitik und die Kulturvermittlung durch deutsche Schulen im Ausland. Daß dabei aber immer wieder eine geringe Steigerung der Finanzmittel seitens der Reichsreglerung viele Auslandsprojekte unwirksam machte - Kloosterhuis führt dies einfach auf langgebundenee Finanzen im Militärhaushalt zurück -, deutet hingegen auf eine Prioritätssetzung zugunsten der bisherigen "militarisierten" Außenpolitik hin.

Die Juli-Krise habe dann demonstriert, daß Deutschland wohl zu einem "friedlichen Imperialismus" bereit war, Anhänger dieser Politik im Krieg aber schnell zu Eroberungswünschen übergingen. Daraus zieht Kloosterhuis den Schluß, daß die deutschen Auslandsvereine und die auswärtige Kulturpolitik zwischen 1906 und 1918 durch das Verharren im imperialistischen Denken jener Zeit gescheitert seien.

Kloosterhuis kommt in Relativierung bisheriger Kenntnisse zu einer negativeren Bewertung des Einflusses Karl Lamprechts auf die auswärtige Kulturpolitik, als z.B. noch R. vom Bruch (Weltpolitik). Die offensichtlich zustimmende Haltung Bethmann-Hollwegs widerspricht zudem der früheren Beurteilung, eine deutsche Kulturpolitik im Ausland habe in der Spätphase des Deutschen Reiches nicht stattgefunden. Kloosterhuis' Einschätzung dieser Politik erscheint allerdings zu generell. Unter Berücksichtigung der geringen Finanzmittel, die das Reich zur Verfügung stellte, beim Anblick der geringen Mitgliederzahlen der Kulturvereine, die sich fast nur aus dem Bildungsbürgertum und aus begrenzten Kreisen der Wirtschaft rekrutierten und angesichts der erheblich differierenden Interessenlagen ist es zu weitgehend, für die Zeit seit 1911 eine eigenständige "Konzeption der Kultur- und Wirtschaftspolitik im Ausland" zu konstatieren, welche "zu einem konstitutiven Element neuer deutscher Weltpolitik" geworden sei (S.221).

Der Antrieb ist geringstenfalls zum einen in der Erkenntnis zu sehen, daß die Weltpolitik Bülow'scher Provenienz gescheitert war und man nun versuchte, der Außenpolitik weiter den Anschein einer "Weltpolitik" zu erhalten, und zum anderen wurde die deutsche Außenpolitik von den kulturpolitischen "Erfolgen" anderer Nationen angetrieben. Der Aspekt wichtiger widerstrebender Faktoren - z.B. das Reichsschatz-Amt wird insofern etwas vernachlässigt: daß nämlich alle Bestrebungen einer auswärtigen Kulturpolitik unter unklaren Zielsetzungen, vielfältiger Zersplitterung und zahlreichen Widerständen litten - zumal Auslandsdeutsche an einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik "in der Regel" nicht interessiert waren. Daher ist der permanente Hinweis, auswärtige Kulturpolitik habe sich einer "wachsenden" und "breiten" (S.115) öffentlichen Zustimmung erfreut, überbetont. Weist der Autor doch selbst darauf hin, daß die Auslandsvereine nur geringen Mitgliederzuspruch erlangten.

Die Entwicklung bis zum Ausbruch des Krieges im Juli 1914 zeigt denn auch, wie wenig durchgreifend der Grundcharakter der deutschen Außenpolitik sich am Vorabend des Weltkrieges verändert hatte.

Die von Kloosterhuis betonte außenpolitische Neukonzeption bedarf sicherlich weiterer Beachtung. Mit der auswärtigen Kultur- und Wirtschaftspolitik aber war zumindest z.T. die alte außenpolitische Linie weiterverfolgt worden, seit 1911 - angesichts der außenpolitischen Realitäten und wachsender wirtschaftlicher Konkurrenz - erweitert nur mit einem vordergründig friedlichen neuen Element.

 

Hagen, Holger Tober

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