Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum "Kronjuristen des Dritten Reiches". 979 S., Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995.

 

Das Werk des Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888-1985) erlebt seit einigen Jahren eine erstaunliche Renaissance; vielen gilt der Jurist aus dem Sauerland als der brillanteste Rechtsdenker unserer Zeit. Nicht wenige hingegen sehen in ihm und seinem Handeln einen besonders verwerflichen Fall der intellektuellen Kollaboration mit dem Naziregime; für sie ist er, so der Soziologe Rene König, "der wohl charakterloseste und geistig unredlichste Vertreter des geistig orientierungslosen Bürgertums der 2oer Jahre".

Die entscheidenden Jahre und Jahrzehnte im Leben und Wirken Schmitts, die zwanziger und dreißliger Jahre, sind Gegenstand einer voluminösen Untersuchung aus der Feder von Andreas Koenen. Das fast 1000 Seiten umfassende Buch, eine politikwissenschaftliche Dissertation an der Universität Münster, hat die Zielsetzung, auf der Grundlage einer "neuen, bis heute weitgehend unberücksichtigten Aktenlage" den ,Fall Carl Schmitt' noch einmal aufzurollen und die bislang vertretenen Urteile sowie die ihnen zugrunde gelegten Erklärungsmodelle für Schmitts Engagement im ,Dritten Reich' zu überprüfen.

Gegliedert ist Koenens Arbeit in drei Teile: Zunächst wird Schmitts geistige Entwicklung zu Beginn der zwanziger Jahre im Umfeld des politischen und publizistischen Katholizismus sowie

der ,Konservativen Revolution' nachgezeichnet; danach behandelt Koenen Schmitts `Brückenbau zum Nationalsozialismus'; im dritten Teil schließlich beschreibt der Autor vor dem Hintergrund des Machtkampfes der NS-Führungscliquen die Entwicklung vom Aufstieg

Schmitts zum ,Kronjuristen des Dritten Reiches' bis zu seinem Fall, der ihn zu einer ausgebooteten Randfigur machte.

Schmitts massive intellektuelle und ideologische Unterstützung des Naziregimes, die ihn nach dem Eintritt in die NSDAP im März 1933 bis zu seiner Kaltstellung durch die SS im Jahre 1936 für einige Jahre zum einflußreichsten geistigen Führer der deutschen Rechten werden ließ, werden von Koenen gedeutet als der, allerdings gescheiterte Versuch Schmitts, dem Nationalsozialismus einen Sinn zu geben, und zwar auf der Grundlage seiner geistigen Herkunft aus der katholischen Reichstheologie.

Um diese seine These zu belegen, breitet der Autor ein immenses Material vor dem Leser aus; mit profunder Quellenkenntnis hat er nicht nur nahezu alle Schriften von Schmitt und aus dessen geistigem Umfeld gesichtet und ausgewertet, er konnte auch Einblick in Schmitts Nachlaß nehmen. Dank dieser neuen Quellen gelingt es ihm, interessante Aspekte und Details im Leben Schmitts und seiner geistigen und politischen Umgebung zutage zu fördern.

Gleichwohl ist das Buch viel zu umfangreich geraten; dem Anliegen des Autors hätte Straffung zweifellos genutzt. Endlose Zitate fügen sich zu einer deskriptiv-historischen Darstellung, deren Thesenführung nicht immer überzeugt. Über die politische und geistige Verantwortung Carl Schmitts ein moralisches und politisches Urteil zu fällen, versagt sich der Autor - leider. Trotz einer respektablen Leistung, der wir eine Vielzahl neuer und interessanter Details zum Leben und Wirken dieses umstrittenen Gelehrten verdanken, ist es auch Andreas Koenen nicht gelungen, den ,Fall Carl Schmitt' abschließend zu klären.

 

Bonn, Martin Mantzke

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