Irmgard Pinn / Marlies Wehner: EuroPhantasien. Die islamische Frau aus westlicher Sicht. 257 S., DISS, Duisburg 1995.
EuroPhantasien - unter diesem Titel treten die beiden Autorinnen an, das Bild zurechtzurükken, das man sich im Westen von muslimischen Frauen macht. Wobei das Zurechtrükken ebenso wie der Westen einer Einschränkung bedürfen. Es geht den Autorinnen nämlich weniger darum, das falsche Bild mit einem wie immer wahren zu konfrontieren, sondern sie wollen die Mechanismen der verzerrten Wahrnehmung selbst aufdecken. Und im Mittelpunkt ihrer Kritik stehen weniger die populistischen Verteidiger des Abendlands (von P. Scholl-Latour bis B. Mahmoody), auch nicht die akademischen Vertreter der Orientalistik (Islamwissenschaftler und Arabisten), als vielmehr die Feministinnen und die gewendete Linke. Also wir.
Das Buch ist, neben einer Einleitung, einer Schlußbemerkung und einer umfassenden Literaturliste (die auch viele Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge enthält), in fünf Kapitel unterteilt. Ausgehend von der eher allgemeinen Warte des "westliche(n) Blicks auf die Muslima", so der Titel des Anfangskapitels, behandeln die folgenden Kapitel diesen westlichen Blick unter den Aspekten der Emanzipation, der Modernisierung, der Projektionen und des (verkappten) Rassismus. Natürlich bleiben aufgrund vieler thematischer Überschneidungen Wiederholungen nicht aus. Sie fallen aber umso weniger ins Gewicht, als es gar nichts schadet, an die eigenen alltäglichen Vorurteile, Ressentiments und Rassismen immer wieder erinnert zu werden.
So gesehen hat das Buch unleugbare Vorteile, was man von seinem Umgang mit den (westlichen) Quellen leider nicht behaupten kann. Um ordentlich austeilen zu können, schrecken die Autorinnen vor Unterstellungen, Verdrehungen und Verfälschungen nicht zurück, wie ich am eigenen (Text-)Leib erfahren mußte. Als Verfasserln eines Texts, der sich mit muslimischen Frauen in der Geschichte und der Gegenwart befaßt, mag man sich auf einmal in einem völlig fremden Lager wiederfinden. Wo Polemik so schön ist, wäre Gerechtigkeit nur langweilig.
Es ist aber weniger der Hang zur Polemik selbst, der stört, als das allfällige Halbwissen, das ihn befördert. Man kann Pinn/Wehner nicht vorwerfen, daß sie keine Orientalistinnen sind, zumal sie ihr Programm auf eine Kritik am westlichen Diskurs über muslimische Frauen beschränken. Mit etwas mehr Kenntnis der islamischen Geschichte wäre die Kritik aber auch etwas weniger grob ausgefallen, und nicht nur das. Ihre Unkenntnis der Begriffsgeschichte (Beispiel "fitna"), des Arabischen (Beispiel Koranübersetzungen) und der heutigen Verhältnisse (Beispiel Nordafrika) hält die Autorinnen nicht davon ab, immer wieder kompetenzüberschreitend zu werten und (manchmal haarsträubend) zu urteilen.
Beispiel Nordafrika: Im Emma-Sonderheft zum Golfkrieg kamen zwei algerische Journalistinnen zu Wort, die in der Arabisierungspolitik, die das Land seit geraumer Zeit betreibt, eine Bedrohung ihrer beruflichen Tätigkeit sehen. Für Pinn/Wehner ein klarer Fall der Identifikation mit dem französischen, exkolonialen Aggressor: Nun wäre doch wohl zumindest die Frage angebracht, wieso algerische Journalistinnen, von denen eine in Algerien, die andere als Emigrantenkind bis zum Abitur in Frankreich aufgewachsen ist, kein Arabisch sprechen. Und warum wird die sonst so hochgeschätzte ,Zweisprachigkeit in der Debatte um die ,"Arabisierung" nicht einmal theoretisch in Betracht gezogen? Muß wirklich daran erinnert werden, daß Sprache kein neutrales Mittel der Verständigung ist. sondern unvermeidlich kulturelle Werte, Normen, Denksysteme etc. transportiert?" (5. 110 f.) Oh heilige (oder besser selbstgerechte) Einfalt! Es hätte nur eines Blicks in das (zu großen Teilen sogar auf Deutsch vorliegende) Werk maghrebinischer Autoren bedurft, um zu erkennen, daß die Dinge komplizierter liegen, als man sich das in Duisburg vorstellen mag. Natürlich kann man als Maghrebinerln Arabisch; warum man es jedoch trotzdem eher als Sprache des Alltags (der Religion, der Mythen, der Liebe) begreift und sich in der Schriftstellerei sowie bei der Behandlung bestimmter Themen eher im Französischen heimisch fühlt, erklärt uns z.B. in aller wünschenswerten Deutlichkeit die algerische Autorin A. Djebar (Pourquoi j'´écris. In: E.-P. Ruhe: Europas islamische Nachbarn. Studien zur Literatur und Geschichte des Maghreb. Würzburg 1993, 9-24).
So kritisch die Autorinnen die ideologischen Positionen des Westens und westlich orientierter Araberinnen sehen, so unverdächtig kommt bei ihnen der Fundamentalismus (der eigentlich besser Islamismus hieße) daher. Da gibt es keine Ideologisierung (und Instrumentalisierung) der Religion, sondern nur eine "Rückbesinnung auf die islamische Frühzeit", die zu nichts anderem führen soll als "zu einer noch nicht durch weltliche Machtpolitik, patriarchalische Strukturen usw. überlagerten Grundsubstanz" (5.153). Zu dieser Sicht, die den Ruf der Islamisten nach "Authentizität überhaupt nicht hinterfragt und damit kaum krasser an der innerarabischen und innerislamischen Debatte vorbeizielen könnte, paßt denn auch die häufige Bezeichnung der Bekleidung von Musliminnen als "altmodisch". Es scheint den Autorinnen völlig entgangen zu sein, daß der "zivy islami", die sogenannte "islamische Kleidung", eine emotional hoch aufgeladene Erfindung der siebziger Jahre ist.
Daß E. Saids Kritik am "Orientalismus" (so auch der Titel seines Buchs) ebenso unkritisch übernommen wird, wie sich auf einmal die gesamte Orientalistik mit B. Mahmoody in einem Topf wiederfindet, will ich nicht weiter kommentieren; als Islamwissenschaftlerin könnte ich für befangen gehalten werden. Vollends verwirrt aber erscheint der Umgang der Autorinnen mit der koranischen Erlaubnis zur Züchtigung renitenter Ehefrauen (Sure 4/ 34). Erst erkennen sie auf eine "für westliche Islam-Expertinnen typische Borniertheit", wenn diese den Vers als Ausdruck der Männerherrschaft lesen, und kommentieren:
"Wohl kaum jemand käme auf die Idee, aus einem Bibelvers derart weitreichende Schlußfolgerungen auf die Situation christlicher Frauen zu allen Zeiten und in allen Regionen der Welt zu ziehen." Gleich darauf aber paraphrasieren sie den Islamwissenschaftler A. Falaturi, der seine Interpretation des inkriminierten Verses vorlegt: "Von der älteren Theologie sei dem Mann bei nachgewiesener Untreue der Frau das Recht zugesprochen worden, sie zu schlagen (was übrigens gegenüber der vorislamischen Zeit einen großen Fortschritt bedeutet habe). In der neueren juristischen Literatur werde dieses Recht dagegen als zeitbedingt interpretiert und sei deshalb kein Thema mehr. Darüber hinaus werde das Schlagen in mehreren Hadithen ausdrücklich verpönt. Und, falls überhaupt, sei nach der Überlieferung allenfalls ein leichter, nicht schmerzender Schlag - als Beispiel wird der leichte Schlag mit einer kleinen hölzernen Zahnbürste auf den Handrücken genannt - erlaubt." (5.145) Dabei stellt sich Pinn/Wehner auch nicht einmal von ferne die Frage, ob es nicht doch für einen kleinen Unterschied in der Funktion von Bibel und Koran spricht, wenn sich ein zeitgenössischer Muslim zu einer derart kasuistischen Erklärung zum Koran veranlaßt fühlt.
Die Beispiele von Unkenntnis einerseits und Mißdeutung andererseits könnten beliebig vermehrt werden. Dazu kommt noch Anmaßung, etwa wenn der marokkanischen Soziologin F. Mernissi nahegelegt wird, sich angesichts ihrer Kritik am religiösen Establishment nicht mehr als Muslimin zu bezeichnen. Was für eine alberne Zensur. Schade, das Thema ist alles andere als überflüssig, aber das Ergebnis ist ein dreistes und gespreiztes Buch.
Berlin, Susanne Enderwitz
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