Rainer F. Schmidt: Graf Julius Andrássy. Vom Revolutionär zum Außenminister. 137 S., Muster-Schmidt Verlag, Göttingen, Zürich 1995.

 

Als der aus einem vornehmen ungarischen Magnatengeschlecht stammende Graf Julius Andrássy (* 1823) im Februar 1890 starb, hatte er einen ungewöhnlichen Lebenslauf hinter sich: 1848/49 an der Revolution in Ungarn beteiligt, zuletzt als Gesandter der Budapester Regierung in Konstantinopel, wurde er in effigie gehängt. Im französischen Exil suchte er eine Annäherung an das Habsburgerreich. Die Begnadigung erhielt er erst, nachdem er eine Ungarin aus kaisertreuem Geschlecht geheiratet hatte. Andrássy war neben Deák maßgeblich an den Verhandlungen zum Ausgleich von 1867 beteiligt, wobei er sich die Bewunderung der Kaiserin Elisabeth für die ungarische Kultur zunutze machen konnte. Als erster ungarischer Ministerpräsident führte er den Zentralismus in der cisleithanischen Reichshälfte ein, den er als Revolutionär bekämpft hatte: Die nichtmagyarischen Völker degradierte er damit zu Menschen zweiter Klasse. Ziel seiner außenpolitischen Bestrebungen war die Herbeiführung eines Bündnisses Österreich-Ungarns mit dem Deutschen Reich und England gegen das Zarenreich, um auf diese Weise die Monarchie vor dessen panslawistischen Bestrebungen zu schützen. Dahinter stand aber auch der Gedanke, auf diese Weise Revanche für das russische Eingreifen von 1849 gegen die ungarischen Revolutionäre zu üben. Gelegentlich hoffte der Außenminister auf einen österreichisch-russischen Krieg. Da Bismarck, aber auch England nicht darauf eingingen, sah er sich genötigt, eine Verständigung mit dem Zarenreich zu suchen, die schließlich im Dreikaiserabkommen endete. Der österreichisch-russische Antagonismus bei der Lösung der Orientkrise von 1875-1878 führte zum Bruch dieser von vornherein widersprüchlichen Übereinkunft der drei Herrscher. Erst am Ende seiner Laufbahn als Außenminister gelang ihm noch einmal ein Erfolg: der Abschluß des Zweibundes mit Deutschland.

Der Autor schildert Andrássy als einen Politiker, der nicht warten konnte und der kein richtiges Augenmaß für das "Machbare" entwickelte. Er war ein Draufgänger, der bei seinen Projekten häufig vergaß, für die notwendige Absicherung zu sorgen. Im Gegensatz zu Bismarck blieb Andrássy der Draufgänger und Hitzkopf der frühen Jahre, der vor allem durch seine Persönlichkeit und sein Auftreten Erfolg erzielen konnte.

R. F. Schmidt, der sich bereits in seiner Dissertation mit dem außenpolitischen Konzept des magyarischen Politikers beschäftigt hat (vgl. NPL 39, 1994, S. 330f.), zeichnet in seiner biographischen Skizze die Ergebnisse dieser Arbeit weitgehend nach. Auf Andrássys Zeit als ungarischer Ministerpräsident geht er nur insoweit ein, wie sie für dessen außenpolitisches Konzept notwendig erscheint. Dies ist für einen biographischen Abriß zu wenig. Er vernachlässigt vollständig die Wirtschaftspolitik Andrássys: So erwähnt der Autor zwar, daß es Andrássys bei den Verhandlungen auf dem Berliner Kongreß 1878 gelang, für die Donaumonarchie das Recht zur Okkupation von Bosnien und der Hercegovina zu erhalten, aber nicht, daß er dort Serbien wirtschaftlich von der Monarchie abhängig machen konnte. Zudem übersieht Schmidt, daß Andrássy nicht nur ein ungarischer Patriot war, sondern auch imperialistische Neigungen besaß: Bereits 1869/70 setzte er sich über die Vorstellungen der meisten Ungarn hinweg und plädierte für eine Aufteilung von Bosnien und der Hercegovina, wobei der nordwestliche Teil an Österreich-Ungarn fallen sollte. Unklar bleiben auch die Motive, die ihn im Herbst 1850 bewogen, in einem Artikel in einer englischsprachigen Zeitschrift erste Anzeichen für eine Versöhnung mit Österreich zu signalisieren. War es Haß auf Rußland oder die Erkenntnis, daß Ungarn nur zwischen Österreich und Rußland überleben könne, wenn es sich an das österreichische Kaiserhaus anschloß? Als ersten Einstieg in die Außenpolitik Andrássys ist die Skizze aber brauchbar.

 

Kerpen-Buir, Franz-Josef Kos

 

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