Peter Schlotter: Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Wirkung einer internationalen Institution. 405 S., Campus-Verlag, Frankfurt am Main/New York 1999 (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Band 32).
Auf 6.-7.000 dürfte sich die Anzahl der Publikationen belaufen, die sich bis zum heutigen Tage mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) beschäftigt haben. Ein Desiderat der Forschung liegt hier also nicht gerade vor, eher die Frage, was eine weitere Studie noch neues zu leisten imstande ist. Eine Menge, wie Peter Schlotter unter Beweis stellt. Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, als deren Mitarbeiter und in deren Publikationsverzeichnis Schlotter sich schon in den Jahren zuvor einen Namen gemacht hat, ist bekannt für innovative Impulse zu historisch-politischen Debatten. So wird auch mit diesem Beitrag eine fundierte Erörterung zur Wirkungsanalyse der KSZE und zur Theoriedebatte in den Internationalen Beziehungen erbracht.
Der Untersuchungszeitraum umfaßt die Jahre 1972-1990 - also nicht die ganze Lebensdauer der KSZE. Da der Fokus auf ihrem Einfluß zur Überwindung des Ost-West-Konfliktes liegt, erscheint es nachvollziehbar, die Jahre der Transition zu einer "Regionalen Abmachung" der Vereinten Nationen bis 1995 außen vor zu lassen; gleichwohl relevante Entwicklungen vor der Unterzeichnung der Schlußakte einzubeziehen.
Mit dem Ziel, Ort und Rolle der KSZE in der europäischen Entspannungspolitik vor dem Hintergrund der politikwissenschaftlichen Theorien des Realismus und Institutionalismus zu bewerten und somit gleichzeitig die Theoriediskussion über die Bedeutung von internationalen Institutionen durch seinen Beitrag zu befördern, begibt sich Schlotter mit seiner Habilitationsschrift (TU Darmstadt, 1997) weitestgehend auf wissenschaftliches Neuland. Die meisten der vorangegangenen Veröffentlichungen widmen sich nur Teilaspekten, viele stammen von Zeitzeugen oder gar Akteuren, die sich überwiegend deskriptiv äußern, wenige analysieren Wirkungen und Einflußmöglichkeiten der KSZE auf staatliches Handeln und kaum eine erreichte ein derart differenziertes theoretisch und empirisch angeleitetes Gesamtbild.
Untergliedert in neun Hauptkapitel, lassen sich neben der Schlußbetrachtung und der einleitenden Vorstellung von Zielsetzung und Fragestellung, drei methodische Hauptstränge ausmachen. Zum ersten, ein Abriß der Entstehung und Entwicklung des KSZE-Prozesses angefangen von den multilateralen Konsultationen in Dipoli über die diversen Folgetreffen bis hin zu dem Pariser Gipfel im November 1990. Nach der Definition der Interessenkonstellationen und Wandlungen beschäftigt sich das konzise dritte Kapitel mit den interessenausgleichenden Kompromissen der Linkage-Politik, mit deren Hilfe die Mechanismen der Norm- und Regelbildung der KSZE herausgestellt werden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der reflektionsreichen Aufschlüsselung der wichtigsten KSZE-Politikfelder wie sie mit der Schlußakte von Helsinki angelegt waren (S. 121-324).
Besondere Bedeutung kommt hierbei den Inhalten des Korbes III zu, die sich insbesondere auf dem Boden der internen Veränderungen in der Sowjetunion seit dem Jahr 1985 als äußerst dynamisch erwiesen. Ein jedes Hauptkapitel schließt mit einer "Zwischenbilanz für die Theoriedebatte", wo die Deutungsmuster des Realismus und Institutionalismus auf ihre Einzelfall bezogene Aussagekraft überprüft und im Hinblick auf den Gesamtprozess gewichtet werden. Es bleiben allerdings Schlußfolgerungen zweifelhaft, die Schlotter aus seiner Analyse zieht: "Der KSZE-Prozeß ist ein neuerlicher Beleg dafür, daß internationale Institutionen neben einer demokratischen Gesellschaft das Fundament für friedliche Beziehungen zwischen Staaten bilden."(S. 347) Jener Grundzug klingt oftmals innerhalb des Werkes an, entbehrt jedoch ausreichender Plausibilität. Auch die Wirkungsanalyse dieser internationalen Institution läßt die liberale Auffassung in den Politikwissenschaften von der Friedfertigkeit der Welt, sofern sie nur demokratisch verfaßt und in einem Netz internationaler Vertragswerke eingebettet sei, in der Sphäre der Glaubenssätze verharren. Gleichwohl hat der Autor mit einem hohen Grad an Differenzierungsvermögen nachvollzogen, dass die KSZE einen wesentlichen Beitrag zur Beendigung des Ost-West-Konflikts geleistet und mit ihren Normen und Regeln Europa sukzessive sicherer gemacht hat. Diese empirische Wirkungsanalyse des KSZE-Prozesses gehört selbst in einzelnen Teilaspekten zu des seltenen ihrer Art.
In das 43 Seiten umfassende Literaturverzeichnis haben Titel bis zum Erscheinungsjahr 1996 Aufnahme gefunden, zusammen mit den Referenzen zu Dokumentensammlungen und Quellen verfügt der Leser gleichzeitig über eine der aktuellsten Bibliographien zum Sachgebiet. Auch Habilitationsschriften können lesbar geschrieben sein.
Dresden, Lutz Neumann
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