Michael Schornstheimer: Die leuchtenden Augen der Frontsoldaten. Nationalsozialismus und Krieg in den Illustriertenromanen der fünfziger Jahre. 224 S., Metropol-Verlag, Belin 1995.
In einigermassen forschem Ton nimmt der Autor die Legende" auf die Hörner, daß die (West-)Deutschen in den fünfziger Jahren wegen ihrer vorrangigen Beschäftigung mit dem Wiederaufbau die unmittelbare Vergangenheit des Dritten Reichs verdrängt hätten. "Aber wie das mit Legenden ist: im Kern mag etwas Wahres stecken, das meiste daran ist Blödsinn." Selbst Koryphäen wie Adorno seien dieser "Verdrängungsthese auf den Leim" gegangen (S. 10). Hätte Adorno, was nun in der Tat eine ganz hübsche Vorstellung ist, seinerzeit öfters die illustrierten "Quick" und "stern" gelesen, "dann wäre ihm nicht entgangen, daß die Bundesdeutschen sich leidenschaftlich, ja geradezu besessen mit ihrer Vergangenheit und deren Identifikationsfiguren beschäftigten" (S. 10).
Die sprachlichen Übertreibungen einmal beiseite gelassen: der Autor könnte hier in der Tat auf eine aufschlußreiche Zeitgeist-Strömung der fünfziger Jahre gestoßen sein, und darauf, daß man sie in den Jahrzehnten danach weitgehend vergessen hat. Also folgt man ihm zunächst ganz gespannt in sein Thema. Das ist allerdings durch den Untertitel der Studie nicht ganz korrekt bezeichnet, denn nicht allem um Illustriertenromane geht es hier, vielmehr um alle Genres zwischen (Trivial-)Roman und Reportage, Dokumentation und "Tatsachenbericht", und nicht alle Illustrierten hat der Autor untersucht, sondern nur die zwei mit der höchsten Auflage.
Das Material, auf das er dabei gestoßen ist, hat der Autor in drei umfangreichen Kapiteln aufbereitet: Grundmuster der Vergangenheitsbewältigung (S. 13-104), Das Fortbestehen nationalsozialistischer Denkformen (S. 105-151) und Facetten des Krieges (S. 153-210). Davor die Einleitung umfaßt drei, das Schlußkapitel sechs und das abschließende Literaturverzeichnis sieben Seiten. Man sieht schon -das Schwergewicht liegt eindeutig auf dem Materialteil.
Bei der Aufbereitung dieses Materials -und er hat eine beachtliche Menge gefunden -möchte der Autor, so weit es geht, die Originaltexte selbst sprechen lassen. Er hat ein Raster konstruiert, in das er nun Ausschnitte aus den Texten einfüllt. Grundmuster der Vergangenheitsbewältigung sind so z.B. die Topoi von der reinen Pflichterfüllung, vom Mißbrauch des Idealismus, vom individuellen Unwissen. Solche Verteidigungs-Argumente tauchen in den Texten immer wieder auf, in den Memoiren von Nazi-Dienern wie dem Flugzeugkonstrukteur Ernst Reinkel, in den Kriegsromanen mit kleinen Leuten als den Protagonisten und nicht zuletzt auch in den Leserbriefen dazu.
Der Autor war einem wichtigen Phänomen auf der Spur, als er jenen Teil des politisch-historischen Diskurses der fünfziger Jahre, der in den damals weiter als heute verbreiteten illustrierten reflektiert wurde, zum Untersuchungsthema gewählt hat. Und man wird ihm auch folgen können, wenn er sich gegen die These von der "Geschichtslosigkeit" der Deutschen in jenen Jahren wendet. Allerdings hat er auch eine wichtige Chance vertan, ziemlich leichtfertig zumal. Denn selten ist mir ein Buch mit sozialwissenschaftlichem Anspruch unter die Augen gekommen, daß begrifflich und methodisch derart unbekümmert, man kann auch sagen: schlampig geschrieben worden ist. Zunächst einmal wird nur alleroberflächlichst zu begründen versucht, warum gerade diese illustrierten mit ihren Texten den historischen Diskurs und das politische Bewußtsein in der Bundesrepublik repräsentieren sollen. Es gibt keine Angaben über das quantitative wie qualitative Verhältnis zwischen solchen vergangenheitsbezogenen und aktualitätsbezogenen Texten in den illustrierten. 50 zu 50? 10 zu 90? Wie ist das mit den Leserbriefen - sind sie abgedruckt wegen ihrer Repräsentativität für bestimmte kollektive Stimmungen oder wegen ihrer Exzentrik? Wie kommt der Autor zu seinem "Grundmuster" Raster? Bedeutet nicht die freihändige Konstruktion eines solchen Rasters zugleich auch die Inauguration einer bestimmten Lesart der Texte? Wieso vertraut der Autor darauf, daß seine Lesart sozusagen die einzig richtige, objektive ist? Schon ohne langwieriges Nachprüfen wird manchmal deutlich, daß der Autor seine Texte beim Lesen schon (fehl-)interpretiert hat (z.B. S. 34, wo eine Passage über Weimar/Buchenwald zitiert wird).
In der Einleitung geißelt der Autor den Begriff der "Vergangenheitsbewältigung" als mitschuldig an der von ihm aufgedeckten Legende. In der Überschrift des ersten großen Kapitels wird derselbe Begriff aber in genau derselben Weise verwendet, die der Autor gerade verworfen hat.
Die Schlußthese heißt: Das vorherrschende Bewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland der fünfziger Jahre sei, entgegen dem eigenen Selbstverständnis, antidemokratisch und rechtsextrem. Das vorherrschende Bewußtsein! Und: "Dem Schlagwort von der ,verdrängten Vergangenheit' zum Trotz existiert in den fünfziger Jahren die mit Obsession betriebene öffentliche Propagierung rechtsextremer ,Weltanschauung'." (S. 216)
Und zwar nicht irgendwo am Rande der politischen Kultur, vielmehr in ihrem Zentrum!
Das kann man nun leider gar nicht mehr ernst nehmen. Schade. Ich habe lange überlegt, woran es liegen mag, daß der Autor mit seinen Argumenten so heftig aus der Kurve fliegt. Ich kann es mir nur so erklären: die von ihm untersuchten Texte erscheinen aus heutiger Sicht (fast) allesamt als unangemessene, lückenhafte, beschönigende Beschreibungen der Wirklichkeit des Dritten Reichs. Schornstheimer interpretiert diese Unangemessenheit, Lückenhaftigkeit und Beschönigungen als politisch bewußte und vor allem offensive Strategien zur Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung individuellen und kollektiven Lebenssinns. Es ging jedoch um politisch unbewußte und defensive Strategien zur Rettung von soviel Sinn-Anteilen der individuellen und kollektiven Vergangenheit wie möglich, zur retrospektiven Sinnerhaltung in einem völlig veränderten und im übrigen auch in der politischen Alltagswelt wirkungsmächtigen politischen Rahmen. Der Tenor der Kriegsromane in den Illustrierten war so keineswegs Ausdruck fortdauernder militaristischer Gesinnung, vielmehr kritisierten sie diese und stärkten sogar die antimilitaristische Grundstimmung der Bevölkerungsmehrheit. Die Memoiren der Nazi-Größen waren keine Idolatrie, sie wurden vielmehr als Gruseltexte konsumiert, häufig übrigens noch nach dem Muster "Ihr da oben - wir hier unten". Der Text von Schornstheimer, der übrigens schon 1989 einmal, unter einem anderen Titel und in einem anderen Verlag veröffentlicht worden ist (S. 7), ist nicht, was er vorgibt zu sein: keine Analyse. Vielmehr ist er ein warnendes Exempel für völlig mitglückte Ideologiekritik.
Gießen, Wilfried von Bredow
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