Andrea Süchting-Hänger: Das "Gewissen der Nation". Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937. 440 S., Droste Verlag, Düsseldorf 2002 (Schriften des Bundesarchiv, Bd. 59).
Während auch neuere Arbeiten zur Konservatismus-Forschung gemeinhin die Mitarbeit von Frauen in den Reihen der politischen Rechten ignorieren, hat sich die historische Frauen- und Geschlechterforschung in den letzten Jahren verstärkt der konservativen (Selbst-) Mobilisierung des weiblichen Geschlechts im Zeichen der Nation zugewandt. Jüngstes Ergebnis dieses expandierenden Forschungsfeldes ist die von Gerd Krumeich betreute Dissertation von Andrea Süchting-Hänger. Sie untersucht auf breitem Quellenfundament die Aktivitäten konservativer Frauenorganisationen seit dem ausgehenden Kaiserreich bis zur ihrer Auflösung oder Ursurpierung durch NS-Organisationen, der sich lediglich die evangelischen Frauenvereine durch ihre Rückkehr unter das Dach der Kirche entziehen konnten.
Um die Perspektive einerseits nicht auf die Frauenpolitik der DNVP zu beschränken und andererseits die bisher ungelöste Problematik einer stringenten Definition von "Konservatismus" angesichts des tiefgreifenden Form- und Funktionswandels konservativer Politik von der Honoratiorenpartei zur populistischen Massenbewegung zu umschiffen, setzt die Arbeit an einer netzwerk- und gruppenbiographischen Analyse an: Im Mittelpunkt stehen jene untereinander verflochtenen nationalkonservativen, protestantischen Frauenvereine mit karitativer und politischer Zielsetzung, deren zumeist aus der preußischen bürgerlich-adeligen Mittel- und Oberschicht entstammenden Funktionärinnen zwischen 1860 und 1880 geboren wurden und ihre politische Sozialisation im Kaiserreich erfuhren. Ganz trennscharf sind diese Kriterien nicht, und auch über die Frage der Ausgrenzung einiger Organisationen - etwa der Land- und Hausfrauenvereine - ließe sich streiten. Grundsätzlich aber erweist sich dieser Ansatz als fruchtbar, um die Entwicklungslogik konservativer Frauenpolitik zu untersuchen. Auf diese Weise zeigt sich, daß Frauen aus dem rechten politischen Spektrum über ihr im Kaiserreich eingeübtes patriotisch-karitatives Engagement etwa im Vaterländischen Frauenverein, in der evangelischen Frauenhilfe oder in den Frauenvereinen des Roten Kreuzes am Vorabend des Ersten Weltkrieges ihren Weg in die nationalistischen Agitationsverbände fanden. Die "patriotische Liebestätigkeit" fungierte als Vorschule der Politik, und unter dem Signum der Fundamentalpolitisierung konnte auch die Deutsch-Konservative Partei auf die Mitarbeit der Frauen nicht mehr verzichten.
Der Politisierungsschub im Gefolge des Ersten Weltkrieges machte auch vor den Frauen der konservativen Rechten nicht Halt. Hatte die Kriegszeit ihren traditionellen Tätigkeitsfeldern neue Bedeutung verliehen, war unter den Bedingungen des Frauenwahlrechts ihr Votum für die DNVP zentral, um den konservativen Eliten des Kaiserreiches ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluß in der ungeliebten Weimarer Republik zu sichern. Auf die schnelle und intensive Mobilisierung folgte freilich bald eine Phase der Fernhaltung von den Machtzentren der DNVP, die viele Frauen nicht der Partei, sondern dem parlamentarischen System anlasteten. Auf den ihnen überlassenen Feldern der Sozial- und Kulturpolitik entwarfen sie einen antipluralistischen Wertekodex, der auch auf außenpolitische Fragestellungen durchschlug. Entsprechend gehörte die Agitation für die Revision des Versailler Vertrages und der Kriegsschuldfrage zu den wichtigsten Aktivitäten der konservativen Frauen und Frauenverbände in der Weimarer Zeit. Unberührt von partei- oder staatspolitischen Rücksichtnahmen trugen sie damit wesentlich zur politischen und moralischen Delegitimierung der Republik bei.
Während die politische und wirtschaftliche Krise am Ende der Weimarer Republik in den meisten Politikbereichen zu einer Zurückdrängung des weiblichen Einflusses führte, konnten die Politikerinnen der DNVP ihre Machtstellung entscheidend ausbauen, indem sie Alfred Hugenberg bei seinem Weg an die Parteispitze unterstützten. Als wichtige Machtbasis des Parteivorsitzenden konnten sie ihren Handlungsspielraum bedeutend ausweiten und innerparteiliche Entscheidungen beeinflussen. Die Nominierung der stellvertretenden Parteivorsitzenden Annagrete Lehmann war Ausdruck einer Kooperation, die Hugenberg bis zu seinem Rücktritt als Minister zum Hoffnungsträger der DNVP-Anhängerinnen machte. Die Forschungen zur "Ära Hugenberg" werden diesen Befund künftig zu berücksichtigen haben.
Am Ende der Weimarer Republik hatten völkisch-antisemitische Züge längst Einzug in die Ideologie der DNVP-Anhängerinnen gehalten. Doch auch wenn sie den Systemwechsel und die Machtübernahme Hitlers zunächst begrüßten, konnten sie insbesondere mit der frauenpolitischen Linie der NSDAP nicht einverstanden sein. Nicht zuletzt machte sich hier der Generationenkonflikt mit den jüngeren NS-Aktivistinnen bemerkbar. In Verkennung des totalitären Charakters des neuen Staates glaubten die Funktionärinnen der rechtskonservativen Organisationen, den neuen Machthabern nur bedingte Loyalität schuldig zu sein und zogen sich, soweit die Vereine nicht gleichgeschaltet wurden, auf das Feld der sozialen und kirchlichen Politik zurück. Freilich war Sozialarbeit im Nationalsozialismus durch seine Rassekriterien politischer als je zuvor. Inwieweit DNVP-Funktionärinnen und die Anhängerinnen konservativer und nationalistischer Organisationen hier dem NS-Staat in die Hände arbeiteten, ist ein noch kaum ausgelotetes Forschungsfeld, das weiterer Bearbeitung harrt.
Tübingen, Ute Planert
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