Susanne Watzke-Otte: "Ich war ein einsatzbereites Glied in der Gemeinschaft ...". Vorgehensweise und Wirkungsmechanismen nationalsozialistischer Erziehung am Beispiel des weiblichen Arbeitsdienstes. 349 S., Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1999 (Studien zur Bildungsreform, Bd. 33).

 

Ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des "Dritten Reiches" scheint die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren nun endlich eine bislang in der Forschung kaum beachtete nationalsozialistische Massenorganisation zu entdecken, den Reichsarbeitsdienst. In der neuesten Dissertation zu diesem Thema arbeitet Susanne Watzke-Otte die pädagogischen Aspekte des weiblichen Arbeitsdienstes auf. Inspiriert durch die Oral History-Studien von Klaus [1983] und Reese [1989] zum BDM vergleicht sie anhand von Interviews mit 28 ehemaligen 'Arbeitsmaiden' und Führerinnen deren subjektive Wahrnehmung des Arbeitsdienstes, die "Innenansichten", mit der aus den Quellen ersichtlichen Rolle dieser Organisation im Nationalsozialismus, der "Außenansicht". Ihre zentrale Fragestellung lautet dabei, wie die Nationalsozialisten den weiblichen Arbeitsdienst für ihre Politik funktionalisieren, ihn jedoch zugleich so gestalten konnten, daß er "sowohl die freiwillige Integration der jungen Frauen gewährleistete als auch [...] lebenslang überaus positiv erinnert wurde." (S. 21)

Der "Außenansicht" des weiblichen Arbeitsdienstes ist der erste Teil des Buches gewidmet, in dem die Verfasserin dessen ideologische Hintergründe, seine Ziele und Ursprünge sowie seine historische Entwicklung von den Ursprüngen bis zu seiner Auflösung am Kriegsende darlegt. Aufbau und Inhalt dieses Abschnitts orientieren sich dabei weitgehend an der bisher einzigen größeren Studie über den weiblichen Arbeitsdienst, der Dissertation von Morgan [1978].

Der zweite Teil des Buches konfrontiert nun diese "Außenansicht" mit der subjektiven Wahrnehmung und dem Erleben der Arbeitsdienstzeit durch die ehemaligen Arbeitsdienst-Angehörigen. Die Autorin untersucht hierzu sechs verschiedene Themenkomplexe: den Weg der Frauen in den Arbeitsdienst, das Lagerleben, die Erziehung, die Führerinnen, das Frauenbild im Arbeitsdienst sowie die Rolle des weiblichen Arbeitsdienstes im Zweiten Weltkrieg. Hierbei stellt sie einen Widerspruch zwischen der - von der Verfasserin allerdings überbewerteten - Rolle des RAD im Rahmen der antifeministischen, rassistischen und expansionistischen Politik des NS-Regimes und der auch heute noch durchweg positiven Wahrnehmung dieser Organisation durch die Ehemaligen fest, die ihn als unpolitisch und nicht-nationalsozialistisch ansehen. Sie erklärt diese positive Beurteilung damit, daß der Arbeitsdienst den Mentalitäten der Jugendlichen entsprochen und scheinbar emanzipatorische Ansprüche der jungen Frauen befriedigt habe. Außerdem sei der Lageralltag in seiner Ausgestaltung auf die Bedürfnisse Jugendlicher in der Entwicklungsphase der Spätadoleszenz zugeschnitten gewesen.

Indes ist zu fragen, ob der von der Autorin festgestellte Widerspruch in dieser Form tatsächlich existiert. So wurde bereits von Grüttner [1995] eine partielle Ablehnung des Arbeitsdienstes unter dienstpflichtigen Abiturientinnen festgestellt. Daß Susanne Watzke-Otte diese negativen Beurteilungen des Arbeitsdienstes nicht wahrnimmt, liegt zum Teil daran, daß sie ausschließlich Angehörige der Netzwerke befragt hat, die sich nach 1945 unter den Ehemaligen gebildet haben und in denen die Arbeitsdienst-Idee weiterhin kultiviert wird. Zudem waren drei Viertel der Befragten im RAD als Führerinnen tätig, so daß das Lagerleben weitgehend nur 'von oben' betrachtet wird. Daher ist die Dissertation von Susanne Watzke-Otte de facto eine - allerdings durchaus lesenswerte - Studie über die Mentalität der Arbeitsdienstführerinnen nach 1945. Eine Erforschung der Wahrnehmung des weiblichen RAD durch die einfache 'Arbeitsmaid' steht noch aus.

 

Trier, Michael Hansen

 

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