Rupert Scholz: Deutschland – in guter Verfassung? VII + 239 S., C. F. Müller, Heidelberg 2004 (C. F. Müller Wissenschaft).

 

Kritische Analysen des Zustands der Bundesrepublik gibt es viele, sei es, dass sie sich mit bestimmten Aspekten, etwa dem „Reformstau“ oder der „Hyperthrophie“ des Sozialstaats, beschäftigen, sei es, dass sie einen Gesamtüberblick über die innen- und außenpolitische Lage der Nation zu geben versuchen. Unter ihnen ragt das hier anzuzeigende Werk schon deswegen hervor, weil sein Verfasser als Staatsrechtler und ehemaliger Bundesminister für Verteidigung über die Kompetenz eines Theoretikers und Praktikers zugleich verfügt. In 16 Kapiteln wird ein instruktiver Tour d’horizon über den Verfassungszustand der Bundesrepublik und seine Probleme geboten. Hauptanliegen des Buches ist zu zeigen, dass das Grundgesetz „auch heute noch über alle Voraussetzungen verfügt, die gegebenen Krisen erfolgreich zu überwinden“ (S. VI). Die ersten Kapitel sind der nationalen Frage gewidmet. Es werden Probleme der wiedervereinigten Nation sowie der Ausländer- und Migrationspolitik behandelt und die Rolle des Nationalstaats in einer Epoche erörtert, die oft bereits als „postnationales Zeitalter“ mit „postnationalen Demokratien“ bezeichnet worden ist. Ein eigenes Kapitel ist der Hauptstadt Berlin gewidmet, deren angemessene Einfügung in die Bundesrepublik bis heute Probleme aufwirft.

Mit dem 6. Kapitel beginnt die eigentliche Verfassungsanalyse. Hier geht es zunächst um den Zustand des Parteien- und Verbändestaats und um darauf bezogene Reformvorschläge; anschließend werden die Krisenerscheinungen der repräsentativ-parlamentarischen Demokratie einer Analyse unterzogen, wie z. B. der Hang, die Sacharbeit in Sachverständigenkommissionen zu verlagern und Entscheidungen vor allem im Arbeitsrecht auf die Gerichte abzuschieben (s. z. B., Kap. 13 mit dem treffenden Titel: Vom Gesetzgebungsstaat zum Richterstaat?). Besonders intensiv werden in Kap. 11 der „kranke Bundesstaat und Wege zu seiner Genesung“ untersucht. Dem folgen Kapitel über den Rechtsstaat, den Sozialstaat und den „überforderten“ Staat mit seiner ausufernden Bürokratie. Aspekten der Außen- und Sicherheitspolitik ist das letzte Kapitel gewidmet, nachdem schon zuvor die Situation Deutschlands in der Europäischen Union (noch unter der Voraussetzung der Annahme des neuen Verfassungsvertrags) eingehend geschildert wird. Die Darlegungen in den einzelnen Kapiteln sind klar und treffend. Probleme werden auf den Punkt gebracht, oft mit unmissverständlich drastischen Formulierungen, so wenn auf S. 21 von der „Chimäre“ der multikulturellen Gesellschaft die Rede ist. Auch an Hinweisen auf die Stellungnahmen der inzwischen zahlreichen, zu Einzelfragen eingesetzten Kommissionen (Herzog, Rürup usw.) fehlt es nicht. Die Beurteilungen des Autors mögen nicht immer auf Zustimmung stoßen (so z. B. seine, nach Ansicht des Rezensenten zutreffend begründete Ablehnung einer Direktwahl des Bundespräsidenten, S. 95). Doch sind sie in jedem Fall bedenkenswert. Das Buch bietet eine höchst instruktive Gesamtschau. Es stellt eine gelungene und nachdrücklich zu empfehlende Einführung in die institutionelle Verfasstheit unseres Staates und die daraus resultierenden politischen Probleme dar.

 

Müllheim, Hans Boldt

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