Zang, Johannes: Unter der Oberfläche. Erlebtes aus Israel und Palästina, 196 S., AphorismA, Berlin 2007.

Der Nahost-Konflikt mit seinem Wirrwarr an politischen Meinungen, multilateralen Treffen und Beschlüssen, verhärteten Fronten und gewaltsamen Ausbrüchen löst beim deutschen Betrachter nicht selten Reaktionen aus, die zwischen verständnislosem Schulterzucken, resigniertem Gähnen und entschlossenem Tanz auf rohen Eiern oszillieren. Ein anderes Gefühl hinterlässt das Buch von Johannes Zang – in diesem Jahr, in dem sich jüdische Einwanderung, Balfour-Erklärung, Teilungsplan, Sechs-Tage-Krieg und erste Intifada in runden Zahlen jähren. Weder politisch analysierend noch historiographisch forschend vermitteln die Beobachtungen von Zang einen Eindruck davon, was „Unter der Oberfläche“ in Israel und den palästinensischen Gebieten geschieht. Was er beschreibt, geht über den Nachrichtenwert der Ereignisse hinaus, fragt nach Woher und Wohin der Menschen, beobachtet einfühlsam, nicht still und unbeteiligt. Zangs Buch erklärt nicht den Konflikt, sondern seine Auswirkungen. Dennoch gibt ein Glossar Aufschluss über Organisationen und Fachbegriffe, wodurch die Schilderungen auch Fachfremden leicht zugänglich sind. Den Text begleiten Zitate von Betroffenen und Analytikern, aus Kommissionsberichten und Zeitungen. Kommentierte Literaturempfehlungen regen zum Weiterlesen an.
Die Zusammenstellung aus eigenen Erlebnissen, Schicksalen von Einzelpersonen und Familien sowie allgemeinen Fakten erhebt gar nicht erst den Anspruch politisch korrekter Balance: Zang möchte von Unrecht, das Palästinensern widerfährt, erzählen. Dabei stellt er nicht Israel an den Pranger, sondern seine Politik, die das Leben für Palästinenser und Israelis, wenn auch in unterschiedlichem Maße, erschwert, ja, teilweise unmöglich macht. Für Zang ist offensichtlich: Israel besetzt illegaler Weise Gebiete und verübt Unrecht. Deshalb muss es zur Raison gebracht werden, auch und gerade von deutscher Seite, der Zang eine „besondere Verantwortung“ (S. 181) für Israel und damit eben auch für die Palästinenser zuspricht.
Seit 2005 lebt und arbeitet der Journalist, Organist und Musiklehrer im, wie er es beharrlich nennt, „Heiligen Land“. Er ist gläubiger Christ, kann sich auf hebräisch und arabisch verständigen. Dennoch protzt Zang nicht mit der Neutralität eines außenstehenden Besserwissers. Weil er das Land, die Leute kennt und liebt, durchziehen die Implikationen des Konflikts sein eigenes Leben, Denken und Fühlen.
Die Erzählungen folgen den Jahreszeiten. Beginnend mit dem Sommer beschreibt Zang, was ihm am stärksten unter den Nägeln brennt: Den Abriss von Häusern, Folter in israelischer Haft, die Wirtschaftspolitik. Abschnitte darüber, wie die Sprache den Gegner dämonisiert; wie der palästinensische Christ, der seinen Weinberg im Wust israelischer Gesetzgebung vor Enteignung schützen will, Verordnung um Verordnung befolgt. Es landen Schläge in der Magengrube: Die Friedensaktivistin Rachel Corrie, die von einem Bulldozer plattgewalzt wird, die nüchterne Rechnung, wonach die Entwicklungshilfe für Palästina genau die Kosten für israelisch verursachte Schäden deckt. Manchmal ist es heikel, was Zang mit deutlichen Strichen zu umreißen sucht, und wer Anstoß nehmen will, findet passende Passagen.
Der Herbst zeichnet ein Bild von Melancholie und Traumata auf beiden Seiten. Der Verfasser spricht mit Angehörigen von Opfern der Selbstmordattentate, beschreibt die eigene Angst auf dem Fahrrad neben dem Bus. Gleichzeitig verwahrt sich Zang vor medialer Panikmache, fordert religiöse Führungspersönlichkeiten zu aktivem Friedenshandeln auf und bekundet seinen Überdruss an den Dogmen des Alten Testaments. Unauflösbar scheint die Zähigkeit des Konflikts, die alles lähmt. Selbst Friedenskonferenzen, bei denen um jedes Wort gefeilscht wird, zeigen eher graue Gemüter als konsensorientierte Köpfe.
Starre Eiseskälte im Winter legt bürokratischen und menschlichen Stillstand offen. Der Autor zählt auf, was alles nicht funktioniert: Reisen, Arbeiten, Zusammenleben, Überweisen, Schreiben. All dies ist blockiert durch Straßensperren, Vorschriften, Bürokratie, die vom Konflikt angeknackste Psyche. Die Sinnwidrigkeit palästinensischer Generalstreiks, die vor allem der eigenen Wirtschaft schaden, und israelischer Politrhetorik, die auf dem Fehlen eines Partners insistiert, lassen Zang ratlos werden. Auch sein Alltag ist davon betroffen: Besonders die Schilderungen von Fahrten durch Palästina und Abwicklungen an Grenzübergängen und Straßensperren scheinen zu beweisen, wie versperrt der Weg zum Frieden ist.
Erst der Frühling weckt mit einfallsreichen Initiativen, vor allem aber mit Geduld und Humor neue Hoffnung auf Versöhnung. Für den Autor hat die Region „alle Grundzutaten zum Paradies“ (S. 144), wegen ihrer wunderschönen Landschaft, spannenden Städte und liebenswerten Menschen. Zangs Liste von vielversprechenden regionalen, internationalen und vor allem israelisch-palästinensischen Kooperations- und Friedensaktivitäten ist lang. So können die Checkpoints Orte für freundliche menschliche Interaktion sein, und Elternkreise schaffen die Basis für Vergebung statt Rache.
Jenseits von reduzierendem Mitleid und blinder Wut weckt der Jahreszyklus beim Leser Empathie und Interesse. Denn Zang verfällt nicht Klischees, man glaubt ihm und kann seine Gedanken und Geschichten mit eigenen, divergierenden zu einem Geflecht verdichten. Seinem Appell, sich selbst ein Bild zu machen und sich auf die menschlichen Dimensionen des Konflikts zu besinnen, möchte man folgen und dabei hoffen, dass dieser Ruf in Berlin und Brüssel nicht ungehört verhallt.

Hamburg/Leipzig, Franziska Schaaf

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